Studentischer Tagungsbericht (Köln, Mai 2024)

Studentischer Tagungsbericht (Köln, Mai 2024)

Verfasst von Annika Culmsee (Universität Leipzig), Gianluca di Blasi (Universität zu Köln), Henrik Eichhorn (Universität Mainz), Elisabeth Knor (Universität zu Kön), Timo Munz (Fernuniversität Hagen/Universität Wien) und Ridge Sagcal (Universität zu Köln)

Die nächste, und damit sechste Tagung der AG Philosophie & Psychologie vom 30. September bis 02. Oktober 2025 rückt bereits näher! Thema wird diesmal die „Zeit“ sein. Nachdem in den Jahren zuvor vor allem theoretische Bezüge zwischen Philosophie und Psychologie verhandelt wurden – 2022 etwa im Hinblick auf den Erfahrungsbegriff (Link zum studentischen Tagungsbericht 2022[1]) und 2023 auf die empirische Erforschbarkeit philosophischer Psychologie (Link zum studentischen Tagungsbericht 2023[2]) – näherte sich die Tagung im Mai 2024 mit den Leitbegriffen „Aktion, Motivation, Volition“ nun zunehmend auch einzelnen Phänomenen. Der studentische Tagungsbericht blickt auf die dreitägige Kollegwerkstatt zurück, die den Willensbegriff neben philosophischen und methodologischen Vorträgen auch durch konkrete empirische Projekte einer philosophisch-psychologischen Reflexion zugänglich zu machen suchte.

Tag 1

Hannes Wendler eröffnet die Kollegwerkstatt und skizziert die interdisziplinäre Situation als ein soziales Phänomen. Er schlägt vor, sich dieser mit ethnografischer Sensibilität und aus einer Perspektive der „teilnehmenden Beobachtung“ zu nähern. Eine so evozierte anthropologische Verfremdung münde in einer Haltung, welche die Kommunikationsformen und systematischen Zugänge anderer Disziplinen in ihrer Eigengestalt würdigen könne. Die Analogie zu Begriffen der qualitativen Methodologie eröffnet ein Verständnis von Interdisziplinarität, in dem sich Philosophie und Psychologie in einem lebendigen Dialog begegnen.

Dr. Dr. Alexander Wendts Beitrag zur Wissenschaftstheorie der Interdisziplinarität thematisiert in der Folge die Propädeutik der Psychologie als ein Beispiel für gescheiterte Interdisziplinarität – zumindest sofern philosophische und historische Bezüge der Explikation des wissenschaftlichen Selbstverständnisses bloß äußerlich blieben. Eine solche Propädeutik könne als eine soziale Situation verstanden werden, in der Fragestellungen zwar distribuiert, nicht aber dialogöffnend miteinander verbunden werden würden. Interdisziplinäres Potential bestünde indes vor allem in der wissenschaftshermeneutischen Perspektivierung empirischer Ansätze, wodurch diese miteinander ins Verhältnis gesetzt werden könnten.

Mit seinem Vortrag zur mentalen Chronometrie führt Dr. Ruben Ellinghaus sodann zu den methodologischen Fundamenten der Kognitionspsychologie hin. Zeitmessungen in Experimenten mit paradigmatischen Aufgaben eröffnen dabei Einsichten in kognitive Architekturen. Die historische Rückführung auf Donders Subtraktionsmethode und die Kritik Oswald Külpes, derentwegen die mentale Chronometrie erst mit dem erstarkenden Kognitivismus eine Renaissance erfahren habe, ermöglichten Anknüpfungspunkte für den interdisziplinären Diskurs.

Der methodologischen Perspektive auf die mentale Chronometrie stellt Dr. Lars Allolio-Näcke alsbald eine methodologische Einführung in die Diskursanalyse gegenüber. Diese versteht subjektive Erfahrung anhand von gesellschaftlichen Versatzstücken, welche als Aussagen in Diskursen formiert werden und sich Machtstrukturen entsprechend in Subjektstrukturen einflechten. Die Darstellung der philosophischen Hintergründe des Poststrukturalismus erlaubt eine Kontrastierung unterschiedlicher Subjektbegriffe wie sie in der Psychologie verhandelt werden.

Prof. Dr. Matthias Koßler ordnet das Tagungsthema der Volition in den philosophiegeschichtlichen Kontext des 19. Jahrhunderts ein. Dieses sei vor allem in Bezug auf die Herausbildung einer Lehre vom Unbewussten von Bedeutung und daher auch für die Genese der Psychologie wichtig. Er rekonstruiert die Verschiebung von einem vernunftgeleiteten Willensbegriff hin zu einem Begriff des Willens, der auch die irrationalen Dimensionen des Lebens einfangen könne. Schopenhauers Willensbegriff begründe diesen Übergang. Hierbei zeigt etwa die Umschließung auch von vegetativen Leibfunktionen durch den Willensbegriff philosophische Themenverschiebungen an, die für das Verständnis der Herausbildung einer wissenschaftlichen Psychologie von Bedeutung sind.

Im Vortrag zur „Psychologie der Metakognition“ stellt Dr. Helen Fischer anhand von Fragebogenstudien einen empirischen Zugang zu metakognitiven Funktionen vor. Metakognitionen, die eine Einschätzung des eigenen Wissens ermöglichen, werden im Hinblick auf unterschiedliche Wissensdomänen untersucht. Metakognitive Einsichten in das eigene Wissen sowie deren Bildungsprozess haben dabei auch eine verhaltenssteuernde Funktion, was sie mit den Tagungsthemen der Motivation und Aktion verbindet.

Den ersten Tag beschließt ein Interview mit Prof. Dr. Klaus Fiedler über die jüngere Geschichte der Entscheidungsforschung. Die kritische Würdigung Daniel Kahnemans zeigt die Bedeutung seiner und Amos Tverskys Arbeiten zu Heuristiken. Außerdem füge sich die Entscheidungsforschung in die kontinuierliche Entwicklung der Kognitionspsychologie ein.

Tag 2

Den zweiten Tag eröffnet Prof. Dr. Christian Tewes mit einem Vortrag zum Erleben der Willensfreiheit und deren elementaren Komponenten. Ausgehend von den Positionen analytisch-philosophischer Autoren portraitiert Tewes Willensfreiheit im Sinne selbstformierender Handlungen, die phänomenologisch mit dem Erleben von Anstrengung und Verantwortung einhergehen. Es folgt die Präsentation einer empirischen Arbeit, in der die Teilnehmenden mittels autophänomenologischer Introspektion eigene Assoziationen mit dem Wort „obwohl“ nennen sollen. Auf diese Weise gelingt der Bogenschlag zurück zur Willensfreiheit, die sich so elementar mit erlebter Anstrengung verbunden zeigt.

Im Anschluss trägt Prof. Dr. Jörg Disse zu seinen Arbeiten über das Verlangen vor. Er diskutiert sowohl das erkenntnistheoretische Verhältnis von Metaphysik, empirischer Psychologie und Phänomenologie als auch die Natur des Verlangens. Diese charakterisiert er als ein anthropologisch konstantes und stets auf immer Allgemeineres und immer Idealeres zielendes Vervollkommnungssehnen.

Den Vormittag vollendet eine von Dr. Natalie Rodax und Dr. Steffen Kluck moderierte Podiumsdiskussion. Gemeinsam widmen sich Ass.-Prof. Mikhail Spektor, Dr. Janette Friedrich und Dr. Erik Dzwiza-Ohlsen den Herausforderungen der interdisziplinären Arbeit von Philosophie und Psychologie. Auch unter dem Eindruck der Einwürfe aus dem Publikum entsteht rasch eine lebhafte Diskussion zu dem zentralen Bindeglied der Zusammenarbeit der Disziplinen. Kann dies ein gemeinsamer Forschungsgegenstand sein, und wenn ja, welcher? Oder wird doch eher die gegenseitige Bereicherung durch das Entleihen von Methodik gelingen? Schließlich bringt die Diskussion zwei eindeutige Forderungen hervor: es brauche erstens ein konkretes Referenzobjekt und zweitens einen klaren Zweck der Zusammenarbeit, z.B. der gelingende Dialog zur gegenseitigen Bereicherung oder die Umsetzung gemeinsamer Forschungsarbeiten.

Nach der Mittagspause werden Poster zu einzelnen Forschungsprojekten vorgestellt und diskutiert. Hier bietet sich insbesondere Studierenden die Möglichkeit, eigene Überlegungen und Arbeiten zu präsentieren und diese mit anderen, vielfach etablierten Forscherinnen und Forschern aus Philosophie und Psychologie zu besprechen.

Im Anschluss hält Prof. Dr. Jan Rummel einen remote-Vortrag zum Themenkomplex der exekutiven Funktionen. Darin gewährt er Einblicke in den aktuellen Forschungsstand und exemplifiziert konzeptuelle Probleme anhand empirischer Ergebnisse.  

Den Abschluss gestaltet Prof. Dr. Margret Kaiser-el-Safti mit einer Darlegung der Kritik Bolzanos an Kants Ethik und der sich anschließenden Rezeptionsgeschichte über Franz Brentano und Carl Stumpf. Diese zeigt neben heute kaum noch lebendigen Forschungsfeldern wie der Musikpsychologie weitere systematische Potentiale auf, die sich aus einer Hinwendung zum intellektuellen Prag des 19. Jahrhunderts ergeben könnten.

Tag 3

Der dritte Tag beginnt mit dem Vortrag von Prof. Dr. Med. Dr. Phil. Thomas Fuchs zur „Psychopathologie des Willens“. Den Beitrag eröffnet er mit der These, dass der Willensbegriff aus empirisch-psychologischer Perspektive schwer zu greifen und daher um eine Phänomenologie des Willens zur ergänzen sei. Deshalb schlägt er eine Strukturanalyse vor, welche den phänomenologischen Ansatz übernehmen und ein anschlussfähiges Modell für die Psychopathologie aufbereiten solle. Damit weist Fuchs nochmals auf die Bedeutung und die Erkenntnispotentiale der Interdisziplinarität – hier im Hinblick auf Theorien in der Psychopathologie – hin.

Anschließend folgt der Beitrag von Jun. -Prof- Dr. phil. Johannes C. Ehrenthal mit dem Titel „‚… der freie Wille steht davon ganz offen.‘ Über die subversive Kraft der therapeutischen Situation“. Er führt zunächst die Bestände der Psychologie an Universitäten statistisch auf und schildert, wie sich die Disziplin trotz Hürden als Naturwissenschaft etablieren konnte. Der Vortrag beleuchtet das Spannungsfeld zwischen psychologischer Grundlagenforschung und Klinischer bzw. Angewandter Psychologie. Ein konkretes Beispiel aus der eigenen therapeutischen Praxiserfahrung erlaubt die Darstellung weiterer interdisziplinärer Potentiale.

Nach diesen beiden Vorträgen finden sich – in einem neuen Format – alle Teilnehmenden in drei Arbeitsgruppen zusammen, um die Leitbegriffe Volition, Aktion und Motivation – jeweils vertieft zu diskutieren. Philosophische und psychologische Positionen werden hier durch die Übernahme unterschiedlicher disziplinärer Rollen kontrastiert. Das Format könnte sich als eine Umsetzung der von Hannes Wendler geforderten „anthropologischen Verfremdung“ verstehen lassen. Auf den Austausch in den Arbeitsgruppen folgt eine Diskussion im Plenum, die in heiterer Stimmung von Prof. Dr. Gerhard Benetka moderiert wird.

Im Anschluss thematisiert Prof. Dr. Rolf Ulrich in seinem Vortrag den Sinn mathematischer Modelle in der Kognitionspsychologie. Anhand empirischer Beispiele zeigt er auf, wie diese sowohl an Prozessen der Datenauswertung als auch an der Hypothesengenerierung beteiligt sind. Inwiefern der Exaktheitsanspruch formaler Modellbildung auf psychologische Phänomene anwendbar ist, kann Gegenstand eines psychologisch-philosophischen Austauschs werden.

Im letzten Vortrag der Tagung referiert Prof. Dr. Markus Janczyk zu allgemeinpsychologischen Befunden menschlicher Handlungen. Dabei zeigt er anhand unterschiedlicher Paradigmen auf, wie durch theoretische Überlegungen gewonnene Begriffe operationalisiert und experimentell untersucht werden können – und wie empirische Ergebnisse auf die Theoriebildung zurückwirken und sich integrieren lassen. Als ein Beispiel hierfür im Kontext verhaltenssteuernder Kognitionen greift er den Begriff des Ziels heraus.

Den Abschluss der Kollegwerkstatt bildet eine gemeinsame Diskussion über die Tagung als Gesamte. Die Anwesenden reflektieren die vergangenen Tage, halten Einsichten fest und fragen neben inhaltlichen Gestaltungsräumen eines philosophisch-psychologischen Diskurses auch nach geeigneten Formaten, die den interdisziplinären Austausch weiter fördern können. Wir gewannen während der Tagung den Eindruck eines schrittweisen Weitertastens, in welchem unterschiedliche Perspektiven exploriert und zunehmend wechselseitig fruchtbar gemacht werden. Die nächste Tagung zum Zeitbegriff im Herbst 2025 (Link zum Tagungsplan[3]) wird unter anderem mit dem neuen Format der Tandemvorträge weitere Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit erproben und so Gelegenheit für eine Annäherung philosophischer Reflexion an die Empirie sowie eine Bindung empirischer Phänomene an philosophische Perspektiven bieten.


[1] https://www.phi-psy.de/studentischer-tagungsbericht/

[2] https://www.phi-psy.de/studentischer-tagungsbericht-koeln-april-2023/

[3] https://www.phi-psy.de/tagungsplan-kolleg-koeln-30-september-2-oktober-2025/

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